Seniorin mit Maske wegen Corona

Eines vorweg: Die meisten Menschen sind glücklich, dass der Lockdown vorbei ist und sich der Alltag langsam, aber sicher wieder normalisiert. Auch wenn das Coronavirus theoretisch jeden treffen kann, gelten besonders ältere Menschen als gefährdet. Die meisten Alters- und Pflegezentren erlaubten deswegen vorübergehend keine Besuche. Spitalbesuche oder Besuche in Palliativ-Stationen waren ebenfalls nicht möglich. Diesen Zustand haben viele Betroffene als kontraproduktiv empfunden. Einige Experten sowie soziale Institutionen und auch ich warnte vor den katastrophalen Folgen der Isolation. Haben Politik und Wirtschaft versagt?

Ein Seniorenleben in fast völliger Isolation

Für mich in meiner täglichen Arbeit als private Seniorenbetreuerin war und ist diese Gesundheitskrise eine enorme Herausforderung. Viele ältere Menschen waren vorher schon einsam oder isoliert. Durch das Coronavirus wurde diese Abschottung aber noch massiv vergrössert. Ich konnte etwas Abhilfe schaffen, indem ich mit den Betroffenen Telefongespräche führte oder schriftlich, über Karten oder Briefe, mit ihnen in Kontakt blieb. Besuche waren zum Schutz vor Ansteckung untersagt. Manchmal konnte man wenigstens von Balkon zu Balkon miteinander reden. Und zum Glück gab es auch «Die dargebotene Hand» sowie viele Freiwillige, Angehörige und Familienmitglieder.

Durch Abschottung geschützt – aber dafür depressiv?

Studien belegen, wie stark die mentale Stabilität älterer Menschen leiden kann insbesondere wegen der Angst um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen, wegen fehlender Alltagsroutine, Mangel an sozialem und körperlichem Kontakt, wegen Langeweile oder wegen des Mangels an Vorräten und medizinischer Versorgung. Die Belastung nimmt dabei mit der Dauer der Quarantäne zu, und es kommt immer häufiger zu Angststörungen und Depressionen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursachen deren Folgen weltweit Kosten von rund 1000 Milliarden Dollar pro Jahr. Vor allem für Leute, die schon vor der Coronakrise psychisch labil waren, ist die Situation doppelt belastend. Auch ich habe bei meinen Telefonaten und (Notfall-)Besuchen diese Verzweiflung, Trauer und Freudlosigkeit gespürt.

Was hätten sich Senioren in dieser Zeit gewünscht?

Einige meiner Kunden erzählten mir, sie möchten alle Politiker darauf aufmerksam machen, sensibel für die alten Menschen zu werden. Man dürfe Seniorinnen und Senioren nicht einfach wegsperren. Dies sei keine Alternative und mache krank. Wer den ganzen Tag in der Wohnung sein müsse, werde traurig und anfällig für das Virus, auch psychisch. Man möchte selber entscheiden, wie man als «Risikogruppe» damit umgehe. Schliesslich sei man «alt genug» dafür.

Andere meiner Kunden waren schon allein von der Aussage gar nicht begeistert, dass man bereits ab 65 Jahren zur Risikogruppe gerechnet werde. Sie waren von dieser «Schubladisierung» schon fast brüskiert.

Es gab auch Menschen in meiner täglichen Betreuung, die sogar bei einer Ansteckung mit COVID-19 nicht ins Spital eingeliefert und schlimmstenfalls zu Hause sterben wollten. Ständig sei davon die Rede, dass die Senioren besonders gefährdet seien, am Coronavirus zu erkranken, meinten sie. Ich stimme ihnen zu. Denn wer sagt, dass ältere Menschen zuerst krank werden? Normalerweise halten ab 65-Jährige ja keine Corona-Parties ab. Und wie man heute weiss, geht die Verbreitung des Virus sehr oft genau von solchen Menschenansammlungen aus.

Haben wir etwas aus dieser Gesundheitskrise gelernt?

Was die Corona-Pandemie uns lehrt, kann man sicher nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen. Es gibt auch ganz sicher keine richtigen oder falschen Lösungen. Aber als private Seniorenbetreuerin habe ich festgestellt, dass man sich viel zu wenig mit dieser sogenannten «Risikogruppe» auseinandergesetzt hat. Aus meiner Sicht fehlte auch die Sichtweise von Fachpersonen, die täglich mit älteren Menschen zu tun haben.

Ich würde es sehr begrüssen, dass man nicht nur den Schutz des Körpers (vor Infektion/Krankheit) ins Bewusstsein rückt, sondern dass es auch um den Schutz der psychischen Gesundheit geht.