Tochter umarmt Mutter

Die fast vergessene Tugend der Dankbarkeit rückt neuerdings wieder in den Vordergrund. Doch wie wirkt sie sich im Alter aus? Eine Frage, die es sich zu erforschen lohnt. Denn Pflege- und Betreuungspersonen haben ihre Heilkraft erkannt, bei chronisch Erkrankten ebenso wie Herzpatienten oder depressiven Menschen. Was hinter diesen erfreulichen Ergebnissen steckt – damit beschäftige ich mich tagtäglich bei meiner Arbeit als private Seniorenbetreuung. Meine Erfahrungen möchte ich gerne in diesem Blog beschreiben.

Wie Dankbarkeit wirkt, erlebe ich ganz aktuell bei meinem Vater. Vor kurzer Zeit mussten wir ihn ins Altersheim geben, weil eine Betreuung zu Hause einfach nicht mehr möglich war. «Danke, was du alles für mich machst», diesen, seinen Satz höre ich bei jedem Besuch und mehrmals während der jeweiligen Besuchszeit. Wobei: Mein Vater und meine Mutter waren schon immer sehr dankbar, aber jetzt hat sich diese Haltung noch mehr verstärkt. Vermutlich erhält das «Danke» im Alter eine andere Bedeutung. Und viele Menschen empfinden tatsächlich am Ende ihres Lebens ein beruhigendes Gefühl von Dankbarkeit. Die Hektik des Alltags ist zum Erliegen gekommen, der Blick auf Positives im eigenen Leben und auf wertschätzende Beziehungen in der Familie wird nochmals geschärft. Ich bin aber überzeugt, dass Dankbarkeit ältere Menschen nicht nur hoffnungsvoller stimmt, sondern auch eine Heilkraft besitzt und sich positiv sie auf ihre Gesundheit auswirkt.

Mentale Dankbarkeitsübung praktizieren

Die Dankbarkeit ist jedem Menschen eigen, ob alt oder jung. Aber nicht alle Menschen spüren sie gleich intensiv. Dankbarkeit lässt sich aber (wieder) erlernen und üben. Es ist dabei nicht wichtig, ob Dankbarkeitsübungen schon immer gemacht worden sind oder ob sie komplett neu sind. Ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass sie langfristige Vorteile bringen und die mentale und physische Gesundheit von älteren Menschen stärken. Hier ein paar Tipps:

  1. Ältere Menschen können die Augen schliessen, positive Erlebnisse von Dankbarkeit visualisieren und in diese Situationen eintauchen.
  2. Seniorinnen und Senioren denken an Momente, in denen sie selbst dankbar waren oder ehrlich gemeinte Dankbarkeit erhalten haben. Diese Gedanken sprechen sie aus oder schreiben sie auf ein Blatt Papier, mit oder ohne Hilfe einer weiteren Person.
  3. Gerade ältere Menschen sind dankbar für ein langes und gesundes Leben und beginnen ihren Morgen mit einem (Dankes-)Gebet. Dieses «Ritual» sollten sie einfach weiter behalten oder sich sogar mehrmals pro Tag Zeit dafür nehmen.
  4. Das Gefühl der Dankbarkeit kann sich auch durch Musik, ein Buch oder Bilder verstärken lassen.
  5. Sofern es die geistige und körperliche Gesundheit zulässt, sollten diese Dankbarkeitsübungen jeden Tag ein paar Minuten lang praktiziert werden.

Gegenseitige Dankbarkeitsbesuche unternehmen

In meinem Beruf als private Seniorenbetreuerin gibt es eher einseitige Dankbarkeitsbesuche. Das heisst: Ich besuche Seniorinnen und Senioren und bin dann jeweils dankbar dafür, dass mir meine Kundinnen und Kunden ihr Vertrauen schenken und eine enorme Wertschätzung entgegenbringen. Ältere Menschen aber haben durchaus die Möglichkeiten, sich gegenseitig zu besuchen.

  1. Dabei können sie einander Zeit schenken und so ihre Dankbarkeit zeigen – das absolut grösste Gut im letzten Lebensabschnitt. Das erlebe auch ich jeden Tag im Privaten wie im Beruf.
  2. Beim Dankbarkeitsbesuch schliessen sich auch Berührungen nicht aus. Das kann bedeuten, einfach einmal Hände zu halten oder ein Gesicht zu streicheln. Oder man nimmt eine ältere Person in den Arm oder trocknet ihre Tränen. Dazu braucht es keine Worte, aber sehr viel Einfühlungsvermögen bzw. Empathie (auch gegenseitige Empathie).
  3. Ältere Menschen fokussieren sich stärker auf ihre sozialen Bindungen. Negatives wie Konflikte oder Stress ist zu vermeiden. Deshalb können sich Senioren auch untereinander, ob noch zu Hause lebend oder in einer externen Institution, gegenseitig einen Dankbarkeitsbesuch abstatten.
  4. Heute gibt es auch zahlreiche Fahrdienste, die ältere Menschen dorthin begleiten, wo auch immer sie für einen Dankbarkeitsbesuch gehen möchten.

Wieder öfters Dankbarkeit zeigen

Wenn wir lernen, mit uns selbst im Reinen zu sein und unser Leben wertzuschätzen, können wir auch anderen Menschen mit Dankbarkeit begegnen. Denn Dankbarkeit bedeutet auch Selbstreflexion. Diese Selbstreflexion kommt sicher mithilfe von Lebenserfahrung, einem positiven Umfeld und einer guten Gesundheit zustande.

  1. Zeigen wir uns und älteren Menschen, dass wir für unsere Gesundheit dankbar sind. Mein Vater zum Beispiel hatte bis zum 99. Lebensjahr keine gesundheitlichen Einschränkungen. Und er ist unendlich dankbar, dass er bis jetzt, zu seinem 102. Geburtstag, keine schweren Altersbeschwerden gehabt hat.
  2. Erfreuen wir uns, dass wir (wenigstens bis jetzt) in einem freien und friedlichen Land geboren worden sind. Viele meiner Klientinnen und Klienten haben noch Krieg erlebt. Sie sind so dankbar, dass diese schlimmen Zeiten für sie vorbei sind.
  3. Seien wir dankbar, dass es uns in Bezug aufs Essen und Trinken an nichts fehlt. Auch hier höre ich oft, dass es im Zweiten Weltkrieg sehr wenig zu essen gab oder man mit Marken einkaufen musste.
  4. Danken wir dem Schicksal für unser gutes Umfeld (sozial und wirtschaftlich), das wie eine zarte Blume behütet werden muss.
  5. Und schliesslich: Schenken wir jedem Menschen jeden Tag ein Lächeln. Unglaubliche und positive Rückmeldungen werden zeigen, wie gross die Dankbarkeit tatsächlich ist.