Als mein Vater im Juli 2015 starb, registrierte ich die URL «letztereise». Mein Vater verbrachte die letzten sieben Jahre seines Lebens in der Karibik – eine viel längere Zeit, als die Ärzte ihm gegeben hatten. Als wir ihn im Frühling zurück in die Schweiz holten, war er jedoch sterbenskrank. Wir mieteten eine befristete Wohnung und richteten sie ein. Doch eines Morgens waren die Tumorschmerzen so stark, dass die Lebenspartnerin meines Vaters den Krankenwagen rief.
Die kommenden zwei Monate wurden durch das Morphin bestimmt, das kontinuierlich aus Glasflaschen über dem Bett meines Vaters durch Plastikschläuche in seine Vene tröpfelte. Während einige der Angehörigen weiter hofften, nahmen andere Abschied. Ich gehörte zu Letzteren.
Am Kompetenzzentrum für Palliative Care des Unispitals Zürich konfrontierte man uns nach zwei Wochen mit der Frage, wo unser Vater denn zu sterben wünsche. Nicht, dass man uns schlecht beraten oder betreut hätte: Der Sozialdienst des Spitals und der leitende Arzt taten ihr Möglichstes. Doch die Palliative Care Abteilung ist schlicht nicht für Langzeitaufenthalte ausgelegt. Eine Überführung in ein Sterbehospiz stand zur Diskussion, doch meinem Vater war die vorgeschlagene Institution suspekt. Viele Alternativen gab es nicht.
Ich realisierte: Man kann heute wirklich alles online recherchieren und bestellen – von der Gelegenheitswohnung bis zur Pizza. Doch bei einer eigentlich klaren Ausgangslage – es ging um Geborgenheit für eine verbleibende Lebenszeit von wahrscheinlich weniger als einem Monat – scheiterte ich bei meiner Suche.
Da hatte ich die Idee für ein Webportal zum Thema Lebensende. Es existiert keine adäquate Übersicht über Palliative Care Abteilungen und Hospize? Also schaffe ich eine! Als Fotoreporter und Kameramann sind Fotos und Videos mein Medium, um aus der Welt zu berichten. Weshalb nicht einmal von Orten, die bei den meisten Leuten erst einmal ein Frösteln auslösen? Häuser und Hospize, in denen Menschen in ihrer letzten Lebensphase optimal betreut werden. So entstand das Konzept einer interaktiven «Palliative Care Karte».
Ursprünglich als Teilprojekt von Letzte Reise gedacht, entwickelte sich diese Karte zu einem eigenständigen Webportal: www.palliativkarte.ch. Wir reagierten damit auf Kritik aus der Palliative-Care-Szene: Die gedankliche Nähe zum Tod und zur «Letzten Reise» war vielen Leuten unangenehm.
Heute präsentiert www.palliativkarte.ch spezialisierte Palliative-Care-Institutionen oder mit dem Label «Qualität in Palliative Care» zertifizierte Pflegeheime mit Stimmungsbildern, Texten und Videotestimonials von Mitarbeitenden. Besucher können die Institutionen auf einer interaktiven Karte erkunden.
Ein solcher Planer hätte meine Familie bei der Suche eines geeigneten Ortes für die letzte Lebenszeit meines Vaters unterstützt. Er starb einen Tag vor seiner Überführung ins Hospiz in einem kleinen Spitalzimmer mit Ausblick auf das Mitarbeiterparkdeck. Dennoch war es ein würdiger Abschied. Die Ruhe, die den Raum, in dem mein Vater starb, erfüllte, werde ich nie vergessen.
Die Organisation der Abdankung wurde an mich delegiert. Fragen tauchten auf: Wie sind die Bestimmungen in der Stadt Zürich beim Bestattungsfall? Ist es erlaubt, die Asche von Verstorbenen in ein Gewässer zu streuen? Wo gibt es ein schönes Restaurant an einem Fluss, in dem eine würdige Trauerfeier im kleinsten Rahmen, wie von meinem Vater gewünscht, möglich ist?
Alles Fragen, für die ein Webportal zum Thema Lebensende Antworten liefern könnte. Grundlage meiner Idee für «Letzte Reise» waren Reportagen und Geschichten zum Thema Sterben und Tod, die ich auf diesem Portal zu publizieren gedachte: Es soll nicht in erster Linie Menschen ansprechen, die einen Todesfall zu bewältigen haben. Viel eher soll es Denkanstösse liefern und anregen, sich auch mit dem eigenen Ende auseinanderzusetzen.