Rund 125’000 pflegebedürftige über 65-Jährige gibt es laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium hierzulande. Nur die eine Hälfte davon lebt in einem Heim. Um die andere Hälfte dieser eigentlich selbständigen, aber dennoch auf Hilfe angewiesenen Menschen kümmern sich die Angehörigen. Dabei geht es sowohl um die Pflege des eigenen Partners oder der Partnerin als auch um die Fürsorge für ein Elternteil. Durchschnittlich 25 Stunden pro Woche wenden Töchter und Söhne für die Pflege ihrer betagten Eltern auf – oft zusätzlich zur eigenen Erwerbstätigkeit. Und nach wie vor sind zwei Drittel der Betreuenden und Pflegenden Frauen.
Häufig bleibt die private Pflege – wertvolle – Gratisarbeit
Laut der «Swiss Age Care»-Studie von 2010 erbrachten Töchter, Söhne und Ehepartner bereits damals Pflegeleistungen in der Höhe von 34 Millionen Franken pro Jahr. Sie entlasteten damit die öffentliche Hand um rund 1,2 Milliarden Franken. Bis ins Jahr 2030 dürfte diese Zahl noch einmal deutlich steigen, denn in diesem Zeitraum soll die Anzahl Pflegebedürftiger auf über 180’000 anwachsen. Wie wertvoll diese Gratisarbeit ist, lässt sich auch dadurch verdeutlichen, dass bei der prognostizierten Zunahme allein bis heute in Pflegeinstitutionen 25’000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigt würden, um alle Seniorinnen und Senioren zu versorgen. Man rechne!
Gibt es verbindliche Zahlen für die Gratisarbeit?
Wie viele Frauen und Männer bereits heute ihr Arbeitspensum reduzieren oder ganz aus dem Erwerbsleben aussteigen, um sich um ihre Liebsten zu kümmern, weiss man nicht genau. Man geht aber davon aus, dass sich rund 250’000 Personen um die Pflege und Betreuung ihrer betagten Angehörigen kümmern. So zeigen aktuelle Erhebungen des Forschungs- und Praxisprogramms «Work & Care», dass mindestens zwölf Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Pflege von Angehörigen eingebunden sind. Immerhin ist das Problem erkannt: «Wir haben für ein Umfeld zu sorgen, das es möglich macht, beide Aufgaben nebeneinander zu erfüllen», sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf am Tag der Kranken.
Ein paar eindrückliche Geschichten von involvierten Personen*
Gery Huber fährt regelmässig aus dem Solothurnischen zu ihrem Vater nach Zürich. Sie will Zeit mit ihm verbringen. Seit Gery Hubers Mutter verstorben ist, habe sie ihren Vater neu entdeckt, sagt sie. Die beiden geniessen die Zeit bis zum Tag, wo Gery Hubers Vater über immer stärkere Schmerzen an der Hüfte klagt. Schliesslich wird der 95-Jährige notfallmässig ins Spital eingeliefert. Gery Huber muss zusammen mit ihren Brüdern entscheiden, wie es weitergeht, und dabei herausfinden, was für ihren Vater am besten ist. «Es ging mir immer um seine Lebensqualität», sagt sie. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob eine Operation möglich ist und, falls ja, ob Gery Hubers Vater sich davon erholt.
Regula Borner ist das älteste von vier Geschwistern. Ihre Mutter hat fast ihr ganzes Leben in jenem Haus verbracht, in dem Regula aufgewachsen ist. Nachdem Regulas Vater gestorben ist, ist die Mutter tagsüber oft alleine. Alle anderen Wohnungen sind leer, die Leute arbeiten. Regula und ihre Mutter reden ab und zu darüber, wie es weitergehen soll. Doch wirklich entscheiden soll und will die Mutter alleine. Nach sieben Jahren auf der Warteliste kann Regula schliesslich mit ihrer 88-jährigen Mutter eine Alterswohnung besichtigen. Beide sind begeistert, die Mutter zieht ein. Die beiden verbringen weiterhin viel Zeit miteinander. Sie reden über alles, aber nicht über die grossen Themen wie Finanzen oder darüber, was passiert, wenn es in der Alterswohnung nicht mehr geht und der Eintritt in ein Pflegeheim nötig wird. «Ich weiss nicht, ob ich so bestimmend sein kann, diese Themen anzusprechen», sagt Regula Borner.
Theres Voser hat sich frühzeitig pensionieren lassen, um mehr Zeit für sich und ihre Beziehung zu haben. Dann kommt alles anders: Ihr Vater erleidet einen massiven gesundheitlichen Rückschlag, und ihre ältere Schwester erkrankt schwer. Theres Voser verschiebt die geplanten Langzeitferien und beginnt sich intensiver um ihren Vater zu kümmern. Dieser erlitt 2017 einen Schlaganfall, den er nur mit viel Glück überlebte. Danach war er sehr verwirrt und verbrachte fast ein Jahr mit Aufenthalten in verschiedenen Pflegeeinrichtungen. Als er sich langsam erholt, setzt sich Theres Voser dafür ein, dass der 87-Jährige wieder zurück in sein Haus kann. Das war ihr deshalb wichtig, weil sich ihr Vater eine Heimkehr so sehr gewünscht hatte: «Ich habe schon eine Verantwortung übernommen, in dem ich sagte, er kann wieder heim.» Theres Voser geht nun mehrmals pro Woche bei ihrem Vater vorbei, schaut, dass er frische Kleider und genug zu essen hat, und koordiniert für ihn die Einsätze der Spitex. Alles läuft gut, bis die beiden ein schwerer Schicksalsschlag trifft.
* aus dem DOK-Film «Von Sorge und Fürsorge – wenn die Eltern alt werden» (SRF, 23. Januar 2020)
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https://vasos.ch/publikationen_vasos/vernehmlassung-bg-arbeit-und-pflege/
https://support.redcross.ch/de/entlastung-im-alter/
https://www.christines-seniorenbetreuung.ch/betreuung-und-pflege-angehoeriger/