Mit der Nachricht, dass sie in absehbarer Zeit schwer sehbehindert oder gar blind sein werden, sahen sich Louis Bachmann (75) und Jeannette Betschart (85) jeweils im Alter von 60 bzw. 68 Jahren konfrontiert. Wie bewältigen Menschen, die erst im Alter eine Sehbehinderung erleben, dieses einschneidende Erlebnis? Hierzu veröffentlichten der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZBLIND) und die Universität Zürich im Februar 2017 die gross angelegte Studie COVIAGE (Coping with Visual Impairment in Old Age), die aufzeigt, wie den Belastungen der Sehbehinderung (neue) Ressourcen entgegengesetzt werden können. Jeannette Betschart und Louis Bachmann haben beide an der Vor-Studie zu COVIAGE teilgenommen. Ihre Beispiele zeigen viele Parallelen zu den Studienergebnissen auf.
Wie geht man mit der Diagnose Sehbehinderung um?
Wie Jeannette Betschart geht es gemäss der Studie vielen Betroffenen. Die Diagnose des Arztes ist ein Fakt, den man entgegennimmt. Ein effektives Verständnis für die Folgen der Krankheit und eine Information über Beratungsangebote und weiterführende Informationsstellen wird vom Augenarzt leider in vielen Fällen nicht vermittelt. Häufig seien die Patienten aber auch nicht in der Lage die Informationen des Arztes im Moment der Diagnose aufzunehmen, kommentiert Augenärztin Dr. Sabine Delachaux die Aussagen der Studienteilnehmer.
Ein Glaukom und ein grauer Star führten bei Louis Bachmann dazu, dass er immer schlechter sah. «Für mich gab es nie den Moment der Schockdiagnose. Es wurde einfach immer schrittweise etwas schlechter und ich musste mich dann immer der Situation anpassen. Ich kann es nicht ändern, also hadere ich nicht mit dem Schicksal, sondern versuche, das Beste daraus zu machen» sagt Bachmann. Sowohl Jeannette Betschart als auch Louis Bachmann haben die Herausforderung der Sehbehinderung also angenommen. Sie verfügen damit über eine wichtige Ressource. So sind Menschen, die ihre Sehbehinderung annehmen, häufig in der Lage, lieb gewonnene Tätigkeiten im Hinblick auf die Möglichkeiten, die ihnen mit der Sehbehinderung bleiben, zu selektionieren, zu kompensieren oder zu optimieren.
Hilfsmittel und Austausch mit anderen Betroffenen machen Mut.
Louis Bachmann zum Beispiel machte kurzerhand sein Hobby zum Beruf, als die Arbeit in seinem angestammten Beruf unmöglich wurde: Der ehemals passionierte Rennvelofahrer half einem Freund beim Aufbau seines Velogeschäftes. «So konnte ich meine Erfahrung vom Velofahren einbringen und mit meinem Sinn fürs Geschäftliche meinem Freund unter die Arme greifen». Für Jeannette Betschart war das Kompensieren ihres Hobbys und Berufs – das Nähen und Sticken – nicht möglich. Doch dass sie nach wie vor den Haushalt mit etwas Unterstützung alleine machen kann, darauf ist die 85-Jährige stolz. «Mein Mann ist mit mir zusammen einkaufen gegangen, denn ich sehe ja nicht mehr was ich kaufe.» Der Erhalt von Alltagskompetenzen spielt gemäss den Studienergebnissen denn auch eine zentrale Rolle für die Beurteilung einer hohen Lebensqualität.
Dass die Angehörigen wissen, wie die Alltagsbewältigung durch die Sehbehinderung eingeschränkt ist, und verstehen was als Unterstützung möglich ist, wird von COVIAGE als weitere Empfehlung festgehalten. So erzählt Louis Bachmann: «Mein Freundes- und Kollegenkreis weiss, dass ich sehbehindert bin. Mit meinen Freunden habe ich immer noch genauso viel Kontakt wie früher. Ich gehe an den Stamm, ich gehe ins Theater und ins Konzert. Einzig ins Kino gehe ich nicht mehr». Für Ausflüge in die Stadt seien seine Frau und Kollegen wichtige Stützen. Denn: «einen weissen Stock habe ich zwar, aber den habe ich noch nie in Betrieb genommen. Dafür bin ich zu stolz. Für mich ist jedes Hilfsmittel ein Rückschritt. Ich versuche, so lange wie möglich ohne sie auszukommen», sagt Bachmann.
Den Umgang mit Hilfsmitteln und auch den Austausch mit anderen Betroffenen bewertet Jeannette Betschart anders. Für sie ist der Daisy-Player unverzichtbar und den weissen Signalstock hat sie immer dabei. Auch die Kontakte zu Retina Schweiz und zur Zürcher Sehhilfe sind ihr sehr wichtig: «Bei der Sehhilfe haben wir immer einen Kaffee-Hock und schnorren viel miteinander», schmunzelt sie.
Weitere Information und Unterstützung finden Sie beim Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZBLIND.