Älteres Ehepaar im Bett

Die Frage nach Liebe und Sexualität im Alter war früher ein Tabu – heute darf man offener darüber reden. Ähnlich wie bei der Treue sind die Meinungen über den Stellenwert der Sexualität in langjährigen Beziehungen gespalten (im Alltagsdiskurs wie in der Wissenschaft). Zum einen werden die Möglichkeit und Notwendigkeit einer lebendigen Sexualität bis in hohe Alter heraufbeschworen. Zum anderen aber hört man immer wieder, die Sexualität werde in unserer Gesellschaft generell völlig überschätzt, insbesondere in Langzeitbeziehungen. (Quelle: Pasqualina Perrig-Chiello, «Wenn die Liebe nicht mehr jung ist»)

Das sagen Studien zur Sexualität im Alter.

Viele Untersuchungen beschäftigen sich mit der Häufigkeit von Geschlechtsverkehr. Die dort erhobenen Zahlen geben allerdings keinen Aufschluss über die Zufriedenheit. Des Weiteren sollten in der Auswertung neben Alter und Geschlecht auch die Faktoren Generation und Dauer der Beziehung mitberücksichtigt werden. Vorsicht also bei der Interpretation von Zahlenmaterial!

Wissenschaftler von der Universität Göteborg führten zwischen 1971 und 2000 bei 1500 Männern und Frauen eine Langzeitstudie durch. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die sexuelle Zufriedenheit der über 70-Jährigen besonders bei den Frauen stark angestiegen war (Beckmann, N. 2004). So machten die über 70-Jährigen, die sich als «sexuell aktiv» bezeichneten, 1971 0,8 % der Frauen und 50% der Männer, 2000 hingegen 13 % der Frauen und 69% der Männer aus. Ein Grund für die ausgeprägtere sexuelle Aktivität der Seniorinnen in jüngerer Zeit: Mehr 70-jährige Frauen haben noch einen Lebenspartner als vor 30 Jahren. Wenn sie könnten, hätten sogar fast 100% der 70-Jährigen gerne ein erfülltes Sexualleben. 70% der über 60-jährigen Frauen, aber nur 30% der über 60-jährigen Männer sind alleinstehend – mit enormen Konsequenzen für die Möglichkeit insbesondere von Frauen, Körperkontakt, Zärtlichkeit und Sexualität zu erleben.

Liebe bleibt immer wichtig – auch im hohen Alter.

Geliebt zu werden und zu lieben ist ein universelles und zeitüberdauerndes Bedürfnis, und das ein Leben lang. Menschen wollen geliebt werden, und sie wollen Liebe geben. Menschen wollen von Bedeutung sein – für andere wie für ihre Partner. Berühren sei existenziell, sagte Paartherapeut Dr. Klaus Heer an der Veranstaltung «Luzern 60plus.ch», bei einem Paar mit akutem Berührungsdefizit sterbe die Liebe ab. Aber Berührungen müssten keineswegs stets sexualisiert sein, auch niederschwellige Berührungsrituale wie sich mit einem Kuss verabschieden oder begrüssen seien wichtig für die Beziehung. Allerdings, so Heer, sollten es nicht so trockene «Müntschi» sein, wie man sie einst der Tante auf die Wangen drückte. Dem Paartherapeuten Heer gefällt auch das Hand-in-Hand-Gehen von alten Ehepaaren. Das sei nicht das «Händli Halten» wie bei Jungverliebten, so Heer, sondern man halte sich gegenseitig an der Hand und sei einander so Stütze.

Liebe kennt kein Alter – das macht Hoffnung.

In meiner täglichen Arbeit lerne ich viele Paare kennen, die seit mehr als 40 Jahren verheiratet sind. Diese Eheleute sind für mich oft ein Beispiel, dass Liebe und Vertrauen keine Auslaufmodelle sind. Das macht mir persönlich Hoffnung für mein eigenes Alter. Und wenn es doch einmal kracht – dann sind diese Paare in der Lage, eine solche Situation ohne gegenseitige Verletzungen zu meistern. Auch eine immer wieder nötige Prise Humor hat sich bewährt, um Spannungen zu lösen. Mit ernsten Problemen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit kommen Partner aus meiner Erfahrung besser zurecht, wenn sie offen über die neue Situation reden, den Alltag entsprechend organisieren und die Aufgaben auf mehrere Schultern mit Spitex oder privater Seniorenbetreuung verteilen.

In den letzten Jahren hat sich unsere Gesellschaft sehr verändert. Individualität steht im Vordergrund und gefährdet die dauerhafte Liebe. Frauen wie im Männer haben jetzt aber auch die Chance, im ständigen Wachsen und Entwickeln das Interesse aneinander nicht zu verlieren sowie die Gemeinsamkeit als Gewinn zu entdecken und zu pflegen. Ohne Zurückhaltung, mit viel Selbstbewusstsein und Neugier – in jedem Lebensabschnitt.

Buch- und Filmtipps zu diesem Thema.