Senioren mit Spiegel und Crème

Die Frage, ob Werbung für und mit Senioren einem Bedürfnis entspricht, kann ich als private Seniorenbetreuerin weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Denn es will zwar niemand dazugehören, aber Tatsache ist: Es gibt immer mehr Senioren. Und Senioren sind gute Konsumenten, wenn auch mit etwas anderen Bedürfnissen. Schon lange hat der Detailhandel die Generation «55 plus» als Zielgruppe von morgen erkannt. Immer mehr Unternehmen bereiten ihre Läden und Märkte darauf vor und bauen entsprechend um: Es entstehen breitere Parkplätze für Autos sowie Gänge für Rollatoren. Hellere Umkleidekabinen machen das Anprobieren auch mit weniger Sehkraft leicht. Und Single-Packungen (für Einzelhaushalte oder Senioren) ergänzen Jumbo-Angebote für Familien.  Auch bei der Ansprache älterer Kunden passen sich die Firmen an und gehen heute viel subtiler vor.

Ältere Menschen im Mittelpunkt der Werbung

Fast überall ändern Marken allmählich die Darstellung von Senioren in ihrer Werbung. Getreu dem Motto «70 ist das neue 50», soll sie die ältere Generation inspirieren und gleichzeitig junge Menschen herausfordern, sich neu mit dem Thema Alter zu befassen.

Hier ein paar Beispiele:

L’Oréal bildet eine ältere Dame ab, um ihre «jugendlich» reife Haut zu präsentieren. Natürlich lautet das Ziel, die richtigen Produkte zu verkaufen und mehr Umsatz zu erzielen. Aber die Werbung soll auch vermitteln, dass man bis in hohe Alter jung aussehen kann.

Auch der Tourismus hat den Markt für ältere Menschen entdeckt. So wirbt Lenk im Simmenthal sinngemäss mit der Aussage: «Schnee hat es bei uns genug – auch wenn man nicht mehr Ski fährt.» Roger Federer wiederum videotelefoniert im neusten Werbespot von Schweiz Tourismus mit Hollywoodstar Robert de Niro. Slogan am Schluss: «Wenn du Ferien brauchst ohne Drama – dann brauchst du Schweiz.»

Doch Seniorinnen und Senioren werden nicht nur in der klassischen Werbung eingespannt. Da wird zum Beispiel ein «Rentner zum Hypebeast»: Elf Jahre lang genoss der deutsche Senior Alojz Abram seine Rente. Dann hatte sein Enkel eine Idee – und plötzlich war der hippe Grossvater mit den Markenklamotten eine Internet-Sensation. Alojz Abram ist kein Jugendlicher. Er ist 72 Jahre alt. Er hat auch jemanden, der seine «Klamotten» finanziert, aber das sind nicht seine Eltern. Und er beeindruckt 220’000 Mitmenschen.

Wie bei Herrn Abram haben sich auch in der Schweiz die Sitten und Gebräuche geändert. Oft werden die ehemaligen Klischees durch moderne, leichte und humorvolle Rollenbilder abgelöst, indem die Lebensgeschichten von realen bzw. fiktiven Senioren gezeigt werden.

Aber wieso sind Senioren in der Werbung so beliebt?

Ende 2019 waren in der Schweiz 20 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahre alt, 61,4 Prozent zwischen 20 und 64 Jahre alt und 18,7 Prozent 65 Jahre alt oder älter. Der Langzeitverlauf zeigt einerseits die kontinuierliche Abnahme der jüngeren und mittleren Altersgruppen und andererseits einen entsprechend deutlichen Zuwachs bei den Senioren. Allein schon die Zahlen zeigen, dass hier ein grosser Markt für die Werbung besteht. Hinzu kommt, dass sich ältere Menschen mit Gleichgesinnten identifizieren, wenn Produkte oder Dienstleistungen von diesen beworben werden. Weiter sind ganz viele «Best Ager» oftmals finanziell gut gestellt. Sie können und wollen sich in ihrem letzten Lebensabschnitt noch etwas gönnen.

Wollen Senioren «umworben» werden – oder nehmen sie es bloss so wahr?

In diesem Punkt bin ich mir nicht ganz sicher. Meine Klientel spricht grundsätzlich nicht auf Werbung (auch über Social Media) an. Ihre Generation musste hart arbeiten und konnte sich eigentlich fast nichts leisten. Allerdings sind Coupon-Aktionen (z.B. Cumulus bei der Migros) sehr beliebt. Solche Formen von Verkaufsförderung (wie auch Aktions-Inserate) sind bei ihr immer noch sehr beliebt.

Aber ich bin überzeugt, dass das Umwerben der Senioren mithilfe von Senioren das Potenzial hat, in den nächsten Jahren noch viel grösser zu werden.